09. 11. 2018

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09. 11. 2018

Dem Pendler- und Geschäftsverkehr Herr werden – Mobilitätsmanagement im Tessin

Mit Information, Kommunikation, Organisation und Koordination einen umweltfreundlichen und sozial verträglichen Verkehr fördern – das ist der Kern von Mobilitätsmanagement [1]. Es zielt auf die Steuerung der Verkehrsnachfrage ab, indem es das individuelle Mobilitätsverhalten beeinflusst. Mobilitätsmanagement ist damit neben der Gestaltung der Infrastruktur und des Angebots sowie dem Verkehrsmanagement einer der möglichen Ansatzpunkte für Veränderungen im Verkehrsverhalten. Ein Blick auf Mobilitätsmanagement im Tessin im Blogbeitrag von Christian Marti.

Geradezu prädestiniert für Mobilitätsmanagement sind Berufs- und Betriebsverkehr: Einerseits treten Pendler - und Geschäftsverkehr sehr regelmässig auf, anderseits kann Mobilitätsmanagement in bestehende Managementsysteme von Unternehmen integriert werden [1]. Zudem bietet betriebliches Mobilitätsmanagement Synergiepotenzial für die Interessen von Unternehmen und der öffentlichen Hand. Betriebe können damit « die erforderliche Mobilität der Beschäftigten für den Weg zur Arbeit sowie für dienstliche und geschäftliche Wege und die Erreichbarkeit ihrer Standorte für Kunden und Lieferanten» effizient und kostensparend organisieren, gleichzeitig werden Belastungen für Infrastruktur, Raum und Umwelt gemindert [1, S. 4].

Aus diesen Gründen wird Mobilitätsmanagement in Unternehmen von der öffentlichen Hand gefördert. In Europa bestehen gezielte Massnahmen seit Anfang der 1990er Jahre [1]. In der Schweiz engagiert sich u.a. das Bundesamt für Energie (BFE) im Rahmen des Programms EnergieSchweiz seit 2003 mit mehreren Programmen in diesem Bereich [2].

Technische Hilfsmittel: Beispiel Tessin

Technische Hilfsmittel können das Mobilitätsmanagement in Unternehmen massgeblich unterstützen. Ein interessantes Beispiel hierfür stammt aus dem Kanton Tessin, wo das Interesse an betrieblichem Mobilitätsmanagement grundsätzlich gross ist: So stammten etwa beim „Mehrjahres-Programm zur Förderung von Mobilitätsmanagement in Unternehmen“ 2008-2013 des BFE 30% der teilnehmenden Gemeinden und 47% der beteiligten Unternehmen aus diesem Kanton. Gründe dafür sind ein hoher Leidensdruck in Form eines überdurchschnittlichen Anteils des MIV im Pendlerverkehr (insb. im grenzüberschreitenden Verkehr) sowie das parallel zum BFE-Programm konzipierte kantonale Programm „mobilità aziendale“ [2]: Das Kantonsparlament hat Ende 2015 die Schaffung eines Fonds von 2 Mio. Franken für die Finanzierung des Mobilitätsmanagements in Unternehmen beschlossen [3].

Als Tessiner Marktführer im Bereich Mobilitätsmanagement in Unternehmen hat sich in den letzten Jahren das Unternehmen Mobitrends etabliert. Neben klassischen Dienstleistungen wie Beratung oder der Organisation von Firmenshuttles betreibt es die Platform Centrale di Mobilità [4] und die App MobAlt [5]. Die beiden Werkzeuge, welche mit Unterstützung des Raumdepartements des Kantons Tessin (Dipartimento del Territorio) entwickelt wurden, liefern zusammen massgeschneiderte Unterstützung für wichtige Aspekte des betrieblichen Mobilitätsmanagements.

Die Plattform Centrale di Mobilità

Hauptadressaten der Plattform Centrale di Mobilità sind Gemeinden, welche für Arbeitsplatzgebiete (z.B. Industriezonen) Projekte des Mobilitätsmanagements in Unternehmen entwickeln und fördern wollen. Für jedes Areal führt die Plattform den Projektstatus sowie einige Kennzahlen auf und zeigt geplante und bereits ausgeführte Massnahmen in den Bereichen Shuttlebusse, Carpooling, ÖV-Förderung, Fuss- und Veloverkehr sowie Parkraummanagement. Zudem stellt eine interaktive Karte die verschiedenen Areale, teilnehmende Unternehmen, ÖV- und Shuttlebusangebot, Bike- und Carsharing-Stationen sowie Freizeiteinrichtungen dar (Beispiel: Abbildung 1). Zudem sind die Fahrpläne aller dargestellten Shuttlebusse abrufbar.

Die Plattform Centrale di Mobilità dient also in erster Linie der Information über laufende Projekte des betrieblichen Mobilitätsmanagements und deren Koordination. Unternehmen und Gemeinden finden über die Webseite der Mobilitätszentrale aber auch ein Dienstleistungsangebot für Analyse und Umsetzung von Massnahmen des Mobilitätsmanagements sowie deren Kommunikation gegenüber ihren Mitarbeitenden.

Abbildung 1: Ausschnitt aus der interaktiven Karte der Plattform Centrale di Mobilità. Zu sehen sind u.a. die Mobilitätszentralen Stabio, Mendrisio, Balerna-Novazzano und Chiasso (rot gestrichelte Linien), teilnehmende Unternehmen (gelb) und das Angebot an Shuttlebussen (farbige Linien). [4]

Die MobAlt-App

Die MobAlt-App zeigt konkrete Alternativen zum Pendeln mit dem Auto auf und integriert dabei Mobilitätsmanagementmassnahmen der teilnehmenden Unternehmen. Sie richtet sich daher hauptsächlich an Mitarbeiter_innen von Unternehmen, welche Mobilitätsmanagement-massnahmen im Rahmen von Centrale di Mobilità umsetzen. Arbeitnehmer_innen melden sich mit einem Unternehmenscode an und geben Wohnadresse sowie Start- und Endzeit ihres Arbeitstags ein. Die App berechnet daraufhin verschiedene Alternativen für den Arbeitsweg und bewertet diese aufgrund von Fahrdistanz und Ankunftszeiten (siehe Abbildung 2). Dabei werden zahlreiche, teilweise nicht öffentliche Angebote sowie deren Kombination berücksichtigt: Neben dem ÖV (inkl. Park & Ride) insbesondere auch die im Rahmen des Mobilitätsmanagements eingeführten Shuttlebusse, Bikesharing und Fahrgemeinschaften. Zudem kann bei fehlenden Alternativen auch eine neue Fahrgemeinschaft gegründet werden.

MobAlt konzentriert sich damit auf Pendler_innen, welche regelmässige Arbeitszeiten haben und für ihren Arbeitsweg eine Alternative zum MIV suchen. Diese Fokussierung auf ein spezifisches Kund_innensegment erlaubt es, die Bedienung sehr einfach zu gestalten. Der Mehrwert aus Nutzer_insicht gegenüber herkömmlichen Mobilitäts-Apps liegt bei der Integration von nichtöffentlichen Mobilitätsangeboten wie Unternehmensshuttles oder Fahrgemeinschaften innerhalb von Unternehmen.

Teilnehmende Unternehmen können das Erscheinungsbild der App personalisieren und unternehmensspezifische Mitarbeiter_innenanreize wie Rabatte auf ÖV-Abos oder spezielle Fahrgemeinschaftsparkplätze direkt anzeigen lassen. Die gewählte Alternative kann direkt aus der App gekauft (z.B. ÖV-Streckenabos oder Shuttle-Fahrkarten) oder reserviert (z.B. Fahrgemeinschaft, firmeneigenes Bikesharing) werden, die Bezahlung wird direkt mit dem Lohn verrechnet. Die App erlaubt zudem die Verwaltung und Reservation von firmeneigenen Parkplätzen. Unternehmen dient MobAlt zusätzlich zur Analyse des Mobilitätsverhaltens ihrer Mitarbeiter_innen und zur Evaluation der Zielerreichung; über einen Chat können Mitarbeiter_innen direkt erreicht werden.

Zwei komplementäre Werkzeuge

MobAlt und Centrale di Mobilità ergänzen sich gegenseitig. Viele der Mobilitätsangebote, welche MobAlt aufführt, werden von Unternehmen und/oder Gemeinden als Mobilitätsmanagementmassnahmen geschaffen – vielfach im Rahmen der Centrale di Mobilità. MobAlt kann also nur einen Mehrwert bieten dank der Centrale di Mobilità. Gleichzeitig wären Angebote wie Unternehmensshuttles wirkungslos, wenn sie nicht effizient kommuniziert und vertrieben würden – was mit Hilfe von MobAlt geschieht.

Wirkungen und Erfolgsfaktoren

Die Wirkungen der technologischen Hilfsmittel MobAlt und Centrale di Mobilità sind schwierig zu erfassen, denn eine Trennung von Technologie, Kommunikation, und Qualität des bestehenden Mobilitätsangebots ist kaum möglich – und auch nicht sinnvoll, denn Erfolge stellen sich ein, wenn alle diese Aspekte zusammenspielen. Auf jeden Fall sind im Tessin Erfolge vorzuweisen. Projektleiter Davide Marconi nennt v.a. die Verlagerung von Einzelfahrten im MIV hin zu Fahrgemeinschaften oder Shuttlebussen, eine höhere ÖV-Nutzung im Pendlerverkehr und eine Stärkung des Veloverkehrs. Er schätzt, dass seit Lancierung von MobAlt und Centrale di Mobilità mindestens 1000 Personenwagen weniger im Tessiner Pendlerverkehr unterwegs sind. Auf der Webseite der Centrale di Mobilità wird zudem pro Arbeitsplatzgebiet aufgeführt, welche Wirkungen gemessen werden konnten (siehe Beispiel Mendrisio in Abbildung 3).

Abbildung 3: Veränderung des Modal Splits im Pendlerverkehr für die teilnehmenden Unternehmen im Arbeitsplatzgebiet Mendrisio (3481 Arbeitnehmner_innen in 9 Unternehmen) [4]

Technologische Hilfsmittle sind ein wichtiger Bestandteil eines erfolgreichen Mobilitätsmanagements in Unternehmen. Für sich alleine sind sie aber wirkungslos. Denn sie können ihre Wirkung nur entfalten, wenn überhaupt alternative Angebote zum MIV bestehen, potenzielle Nutzer_innen informiert werden und Unternehmen Anreize schaffen, Alterativen auszuprobieren und zu nutzen. Dabei ist wichtig, dass Push- und Pull-Massnahmen kombiniert werden: etwa ein gutes Angebot im ÖV und Fuss- und Veloverkehr sowie finanzielle Anreize (z.B. Testphasen mit kostenloser Nutzung von E-Bikes oder des ÖV), aber auch aktives firmeninternes Parkplatzmanagement.

Um solche Massnahmen erfolgreich umzusetzen, müssen alle Akteure (Gemeinden und Kanton, Unternehmen, Mitarbeiter_innen) gemeinsame Interessen haben und ausreichend Ressourcen für die Umsetzung von Massnahmen investiert werden. Es ist daher zentral, die verschiedenen Bedürfnisse sorgfältig zu ermitteln und Massnahmen mit konkretem Nutzen für die Beteiligten zu entwickeln. Der Aufwand lohnt sich: Durch erfolgreiches Mobilitätsmanagement in Unternehmen lassen sich teilweise eindrückliche Wirkungen mit deutlich geringeren Kosten als durch Eingriffe in die Verkehrsinfrastruktur erreichen.

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Quellen

Informationen zu MobAlt und Centrale di Mobilità: Davide Marconi, Mobitrends, Canobbio. Herzlichen Dank dafür!

[1] De Tommasi, R, D. Oetterli und G. Caduff (2008) Mobilitätsmanagement in Betrieben – Motive und Wirksamkeit, Bundesamt für Strassen ASTRA, Bern.

[2] Haefeli, U., D. Walker, T. Arnold, D. Marconi und S. Leonardi (2013) Evaluation des Programms Mobilitätsmanagement in Unternehmen (MMU), Bundesamt für Energie BFE, Bern.

[3] Repubblica e Cantone Ticino (2015) Basi legali, https://www4.ti.ch/dt/dstm/sm/temi/mobilita-aziendale-portale/basi-legali/basi-legali/.Zugriff 13.10.2018.

[4] Centrale di Mobilità (2018) Be mobile be alternative, http://www.centralemobilita.ch,Zugriff 04.10.2018.

[5] MobAlt (2018) The MobAlt app, https://www.mobalt.ch/,Zugriff 04.10.2018.