01. 10. 2025
01. 10. 2025
Freihandelsabkommen mit Indien: Was der Start für die Schweizer öV-Branche bedeutet
Am 1. Oktober 2025 tritt das Freihandels- und Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (TEPA) zwischen der Schweiz und Indien in Kraft. Durch dieses Abkommen werden die Handelsbarrieren drastisch abgebaut: Laut Wirtschaftsdepartement werden für 94,7 Prozent der Schweizer Warenexporte nach Indien die Zölle von derzeit durchschnittlich 22 Prozent auf null reduziert. Was bedeutet dieses Game-Changer‐Abkommen konkret für Firmen rund um den öffentlichen Verkehr – für grosse Konzerne wie für KMU? Und welche Auswirkungen sind auf Arbeitsplätze sowie die Wertschöpfung und Innovation in der Schweiz zu erwarten?

Ab 1. Oktober 2025 fallen für fast alle Schweizer Exporte nach Indien die Zölle weg – auch für die öV-Branche eröffnen sich neue Chancen. © Simon / Pixabay
Schweizer Firmen – darunter viele Zulieferer und Hersteller im Bereich des öffentlichen Verkehrs – erhalten durch das Freihandels- und Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (TEPA) zwischen der Schweiz und Indien einen erheblichen Wettbewerbsvorteil.
Erstmals geniessen Schweizer öV-Unternehmen einen Marktzugang zu Indien, der einfacher und günstiger ist als jener für Konkurrenten aus der EU oder Grossbritannien, die sich derzeit noch in Verhandlungen befinden.
Wegfall von Zöllen eröffnet neue Exportchancen
Indien erlebt seit Jahren einen gewaltigen Infrastrukturausbau und wirtschaftlichen Aufschwung. Die Regierung in Neu-Delhi investiert massiv in den Ausbau des öffentlichen Verkehrs, von neuen Eisenbahnstrecken und Hochgeschwindigkeitszügen bis hin zu U-Bahn-Netzen in Metropolen.
Ein besonders innovatives Feld sind Seilbahnen: Im April 2025 kündigte das indische Verkehrsministerium an, 25 neue Seilbahn-Projekte in 10 Bundesstaaten zu starten, um Tourismusziele und Bergregionen besser zu erschliessen.
Schweizer Unternehmen zählen in vielen dieser Bereiche zu den globalen Spitzenanbietern – sei es im Bau von Zügen, Strassenbahnwagen und Lokomotiven, bei Signal- und Sicherungstechnik, in der Bahnstromversorgung oder bei urbanen Seilbahnsystemen. Durch das Freihandelsabkommen öffnet sich dieser riesige Markt jetzt deutlich weiter für sie.
Der wichtigste unmittelbare Effekt ist die Kostenersparnis durch den Abbau der Einfuhrzölle. Bislang verteuerten Einfuhrabgaben von oft über 20 Prozent die Einfuhr von Schweizer Bahn- und Verkehrstechnologie nach Indien. Diese Hürde fällt nun weitgehend weg. Schweizer Produkte werden in Indien preislich konkurrenzfähiger, was ihre Chancen in öffentlichen Ausschreibungen erhöht.
So erhoffen sich beispielsweise exportorientierte Mittelständler wie der Klimasteuerungsspezialist Belimo durch den Zollabbau «erhebliche Einsparungen.» Gleichzeitig werden durch das Abkommen bürokratische Hürden abgebaut und Verfahren vereinfacht. Wirtschaftsminister Guy Parmelin betonte, das TEPA werde dank sinkender Zölle und weniger Verwaltungsaufwand «allen zugutekommen».
Für Schweizer Anbieter bedeuten diese Erleichterungen einen «roten Teppich» in den indischen Markt, wie es Florin Müller vom Swiss Business Hub in Mumbai ausdrückt. Allerdings garantiert das Abkommen allein noch keine Aufträge. Der indische Markt ist hochkompetitiv und preissensibel.
Globale Konkurrenten wie Alstom, Siemens oder chinesische Hersteller sind bereits fest etabliert und lokal präsent. Hinzu kommen «Make in India»-Vorgaben: Grosse Bahnprojekte werden oft nur an Bieter mit lokaler Fertigung vergeben. Schweizer Firmen begegnen dem, indem sie Partnerschaftsabkommen eingehen oder in Indien investieren.
So hat Stadler Rail bereits 2022 mit dem indischen Partner Medha einen Joint-Venture-Produktionsstandort in Hyderabad angekündigt, um Eisenbahnwaggons und Lokomotiven vor Ort zu fertigen. Solche Investitionen sind Teil der im Abkommen verankerten Verpflichtung der EFTA-Staaten, innerhalb von 15 Jahren 100 Milliarden US-Dollar in Indien zu investieren, wofür Indien ein investitionsfreundliches Klima zugesagt hat.
Direkte Exporte – etwa von spezialisierten Komponenten und Systemen – werden aber durch den Zollabbau besonders gefördert, denn hier können Schweizer Hersteller nun ohne Kostennachteil liefern.
Ein Beispiel ist der Bereich Seilbahnen: Mit den erwähnten staatlichen Ropeway-Projekten in Indien eröffnen sich neue Auftragschancen für Schweizer Seilbahnhersteller, die ihre Anlagen nun zollfrei exportieren oder als Technologielieferanten in indische Projekte einbringen können.

Seilbahnen als Zukunftsmarkt: Mit 25 neuen Projekten in Indien eröffnen sich grosse Chancen für Schweizer Unternehmen, die als globale Spitzenanbieter bestens positioniert sind. © Seilbahnen Schweiz
Grosse Konzerne und KMU: Nutzen und Herausforderungen
Für die Grossunternehmen der Branche – etwa Alstom, ABB, Stadler oder Siemens – ist Indien schon heute ein strategischer Markt. Einige haben ihre Präsenz in den letzten Jahren stark ausgebaut.
So berichtet ABB, die Aufträge aus Indien seien zuletzt jährlich um rund 27 Prozent gewachsen; der Konzern betreibt inzwischen rund 20 Standorte in Indien und hat seine Belegschaft dort seit 2020 von 6000 auf 10’000 erhöht. ABB-Chef Morten Wierod erwartet, dass Indien in wenigen Jahren zum drittgrössten Markt seines Unternehmens aufsteigen wird; nach den USA und China.
Für solche Konzerne kommt das Freihandelsabkommen wie gerufen: Es sichert ihre Investitionen ab und verbessert die Rahmenbedingungen. Zwar betont keiner dieser grossen Player, nur wegen des Abkommens zu investieren; der Schritt nach Indien war strategisch ohnehin geplant. Doch das TEPA wirkt als Beschleuniger: günstigere Importteile aus der Schweiz, leichterer Kapitaltransfer und Schutz geistigen Eigentums erhöhen die Attraktivität des Standorts.
Schweizer Grossunternehmen erhalten zudem vorerst einen Vorsprung gegenüber EU-Konkurrenten, solange diese kein entsprechendes Abkommen haben. Dieses First-Mover-Privileg könnte sich in kommenden Ausschreibungen auszahlen.
Kleine und mittlere Unternehmen der öV-Branche stehen dem indischen Markt oft mit gemischten Gefühlen gegenüber. Auf der einen Seite locken enorme Volumina – Indien will zum Beispiel Hunderte neue Zugskompositionen und U-Bahn-Züge beschaffen, Bahnhöfe modernisieren und signaltechnisch aufrüsten. Auf der anderen Seite schrecken ein hoher Preisdruck und die Komplexität des Marktes viele kleinere Firmen ab.
Hier schafft das Abkommen nun spürbar bessere Voraussetzungen. KMU, die hochspezialisierte Produkte (wie etwa Elektronik, Stromversorgung, Software oder Komponenten) liefern, können diese künftig zollfrei exportieren und müssen nicht zwingend selbst in Indien produzieren. Ihre Produkte werden damit für indische Kunden deutlich erschwinglicher und konkurrenzfähiger.
Gerade bei Nischen-Technologien, in denen Schweizer Anbieter führend sind, könnten KMU so Marktlücken füllen. Allerdings bleibt oft der Aufbau von lokalen Vertriebspartnern oder Servicestellen nötig - das Abkommen erleichtert zwar den Marktzugang, ersetzt aber nicht die Vor-Ort-Präsenz.
Unterstützung erhalten exportwillige KMU von Branchenverbänden und der Schweizer Aussenwirtschaftsförderung. Swissrail, der Verband der Schweizer Bahn- und Mobilitätsindustrie, entsendet im Oktober 2025 eine Wirtschaftsdelegation nach Neu-Delhi.
Geplant sind unter anderem Treffen der Joint Working Group Schweiz–Indien für die technische Zusammenarbeit im Bahnbereich und die Unterzeichnung einer Absichtserklärung im Bereich der Mobilität.
Gleichzeitig findet in Delhi die Branchenmesse IREE statt, auf der 17 Schweizer Bahnzulieferer gemeinsam im «Swiss Pavilion» ausstellen. Von etablierten Konzernen wie ABB bis hin zu kleinen Spezialanbietern, wie beispielsweise ComatReleco, Rauscher & Stoecklin und Bartholet, nutzen Firmen jeder Grösse diese Plattform, um Kontakte zu knüpfen.
Diese gebündelten Anstrengungen zeigen: Die gesamte Branche – vom Grosskonzern bis zum Familienbetrieb – sucht aktiv den Zugang zum indischen Markt. Das Freihandelsabkommen wirkt dabei als Türöffner, der nun von den Unternehmen mit Leben gefüllt werden muss.

Indien erlebt seit Jahren einen gewaltigen Infrastrukturausbau und wirtschaftlichen Aufschwung: So investiert die Regierung in Neu-Delhi massiv in den Ausbau des öffentlichen Verkehrs. © Sanzu Tamu / Pexels
Impulse für Arbeitsplätze, Wertschöpfung und Innovationen in der Schweiz
Die Öffnung des indischen Marktes dürfte sich langfristig auch positiv auf die Schweizer Beschäftigung und Wertschöpfung im öV-Sektor auswirken.
Schon heute ist der öffentliche Verkehr mit seiner Industrie ein bedeutender Wirtschaftsfaktor: Über 90’000 Vollzeitstellen hängen in der Schweiz direkt an den Transportunternehmen und Herstellern im öV-Bereich, welche zusammen jährlich rund 17,5 Milliarden Franken Wertschöpfung generieren.
Ein beträchtlicher Teil dieser Wertschöpfung stammt aus Exporterfolgen. Gemäss der Studie von LITRA und Swissrail entfallen allein 3,4 Milliarden Franken des Branchenumsatzes auf Exportgeschäfte, was in der Schweiz rund 700 Millionen Franken an Wertschöpfung ausmacht.
Mit neuen Indien-Aufträgen könnten diese Zahlen weiter wachsen. Jeder zusätzliche Zug oder jedes Signalsystem, das eine Schweizer Firma nach Indien liefert, bedeutet Aufträge für Schweizer Ingenieurbüros, Fabriken und Zulieferer – und damit Arbeit für Fachkräfte in der Schweiz.
Zwar werden bei Grossprojekten gewisse Fertigungsschritte nach Indien verlagert, doch hochqualitative Komponenten, Design und Entwicklung verbleiben oft in der Schweiz. Insgesamt wird die Auslastung der Schweizer Werke durch den Exportboom gestärkt, und es können neue Arbeitsplätze geschaffen sowie bestehende gesichert werden.
Entscheidend ist dabei die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Anbieter. Andreas Haas, Geschäftsführer von Swissrail, betont, dass die heimische Bahnindustrie nur stark bleiben kann, wenn ihre Firmen auch im Ausland erfolgreich sind. «Über 95 Prozent unserer Mitglieder sind im Export tätig», so Andreas Haas.
Das Indien-Abkommen liefert hierfür einen willkommenen Schub. Es hilft, Schweizer Qualitätsprodukte zu wettbewerbsfähigen Preisen weltweit abzusetzen. Zudem positioniert es die Schweiz international als Partner für nachhaltige Mobilitätslösungen, was der Branche neue Kooperationsverträge einbringen kann.
Langfristig sichern solche Exporterfolge nicht nur den Umsatz, sondern auch Know-how und Innovationskraft in der Schweiz: Firmen können mehr in Forschung und Entwicklung investieren, von Grössenvorteilen profitieren und so technologisch an der Spitze bleiben.
Zu guter Letzt könnte die Schweiz schliesslich auch vermehrt von Innovationen «made in India» profitieren. Denn in Indien entstehen zahlreiche zukunftsweisende Lösungen in Bereichen wie digitales Fahrgastmanagement, E-Mobilität und Smart-City-Technologien, die für die Schweizer Mobilitätsbranche relevant sein könnten.
Eine indische Success Story im digitalen öV-Vertrieb ist beispielsweise die Einführung des Fahrkartenkaufs via WhatsApp. In Bangalore startete 2022 ein Pilotprojekt, bei dem Fahrgäste U-Bahn-Tickets bequem über einen Chatbot in WhatsApp erwerben konnten. Das System generiert einen QR-Code für das Ticket und ermöglicht die Bezahlung direkt im Chat.
Die Resonanz ist enorm: Mittlerweile wurde der Service auf Metro-Netze in Städten wie Chennai, Delhi, Mumbai und Hyderabad ausgeweitet. Bis Ende 2025 rechnet Betreiber Meta mit rund 100 Millionen verkauften Fahrscheinen über WhatsApp.
Ein weiteres anschauliches Beispiel für technologiegetriebenen Austausch ist die Elektrifizierung der letzten Meile. In vielen indischen Städten ersetzen inzwischen E-Rikschas und elektrische Tuk-Tuks die alte Benzin-Rikscha. Diese leichten Dreirad-Taxifahrzeuge sind emissionsfrei, wendig und günstig – ideal für kurze Distanzen.
Interessanterweise schwappt dieses Konzept bereits in die Schweiz über: Das indische Startup iGowise Mobility aus Bangalore kooperiert seit 2025 mit dem Schweizer E-Tuk-Tuk-Anbieter Subeez, um moderne dreirädrige Elektrofahrzeuge gemeinsam für den europäischen Markt zu entwickeln.
Unter dem Motto «Made in India, Made for the World» fliesst indisches Entwicklungs-Know-how in robuste E-Tuk-Tuks ein, die an hiesige Anforderungen angepasst werden - etwa mit optimierter Batterietechnik für ein kühleres Klima und steiler Topographie in den Alpenregionen.
In Schweizer Tourismusorten und Städten kommen bereits erste E-Tuk-Tuks zum Einsatz, beispielsweise als Hotel-Shuttles oder Sightseeing-Fahrzeuge. Die Zusammenarbeit von iGowise und Subeez zeigt also, wie indische Startup-Innovationen direkt zur Entwicklung neuer Angebote in der Schweiz beitragen können.

Meilenstein für die Schweizer öV-Branche: Das Freihandelsabkommen mit Indien eröffnet der Schweizer öV-Branche Zugang zu einem der dynamischsten Märkte weltweit. © Rohit Gangwar / Pexels
Das Freihandelsabkommen mit Indien markiert einen Meilenstein für die Schweizer öV-Branche. Es rollt den Firmen gewissermassen den roten Teppich aus; gehen müssen sie den Weg aber selbst.
Die exportorientierten Schweizer Bahn- und Verkehrstechnikunternehmen erhalten nun die Chance, auf einem der dynamischsten Märkte der Welt Fuss zu fassen. Wenn es ihnen gelingt, ihre bekannten Stärken – Innovation, Qualität, Nischen-Know-how – mit lokalem Engagement und wettbewerbsfähigen Preisen zu verbinden, stehen die Chancen gut, dass sowohl die Firmen selbst als auch der Produktionsstandort Schweiz vom Indien-Abkommen nachhaltig profitieren.
Gleichzeitig könnten sich damit die Mobilitätsbeziehungen zwischen der Schweiz und Indien zu einer echten Win-Win-Situation weiterentwickeln. Von digitalem Fahrkartenkauf via Messenger bis zu elektrischen Tuk-Tuks – es gibt konkrete Ansätze, wie Schweizer öV-Unternehmen und Städte indische Innovationen adaptieren oder mitgestalten können.
In einer globalisierten Innovationslandschaft gilt mehr denn je: Über den eigenen Tellerrand blicken lohnt sich – selbst für eine so fortschrittliche Verkehrsnation wie die Schweiz.