13. 09. 2019

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13. 09. 2019

«Herausforderungen im öV-Schweiz – ein Streifzug.»

Solange wir uns nicht von A nach B „beamen“ können – und dies wird noch eine Weile lang nicht dar Falle sein –, wird es zur Überwindung von Distanzen immer mechanisch-energetisch-physikalischer Prozesse sowie relativ aufwendiger Infrastrukturen bedürfen. Die entsprechenden Kosten werden auch in Zukunft von den Nutzern oder von den Steuerzahlenden – oder von beiden gemeinsam – getragen werden müssen. Die erforderlichen öV-Infrastrukturen (Stichwort Ausbau der Bahninfrastruktur 2035) werden weiterhin zur Verfügung gestellt werden müssen. Das wird sich in den kommenden Jahrzehnten nicht ändern. Aber mit der Veränderung der (Gesamt-)Mobilität wird der ökonomische Zwang, haushälterisch mit den Verkehrsmitteln und Verkehrsträgern umzugehen, zunehmen. Kurz: Das Schweizer öV-System ist sehr gut, hat aber noch Potential!

Blicken wir an dieser Stelle zurück: Das Jahr 2019 ist auch das Jubiläumsjahr von 20 Jahren «Bahnreform». Nach meinem Dafürhalten war die Einführung des Besteller-Ersteller-Prinzips eine der grössten Errungenschaften der Bahnreformen. Ab 1996 hatten die Transportunternehmen Offerten zu machen. Bund und Kantone bestellen die Leistungen.

Mit den Reformen konnten die Attraktivität und die Effizienz des schweizerischen öV gesteigert werden. Obwohl die Schweiz schon heute ein sehr gutes öV-System hat, um welches unsere ausländischen Kollegen beneiden, geht die Entwicklung weiter. Für die erfolgreiche Positionierung des öV in Zukunft sind weitere Reformen nötig. Eine dauernde Herausforderung ist die weitere Erhöhung der Kosteneffizienz. Hierzu ist die unternehmerische Ausrichtung der öV-Unternehmen zu unterstützen und zu verstärken. Dabei kommt den Instrumenten des Benchmarkings und der Möglichkeit von Ausschreibungen weiterhin grosse Bedeutung zu.

Die Welt steht nicht still. Die Regulation wird und muss sich weiterentwickeln. Der VöV hat sich deshalb in seinen Gremien letztes Jahr mehrmals und umfassend zu dieser Thematik Gedanken gemacht. Mit dem entsprechenden Positionspapier, das der Vorstand im Juli 2019 verabschiedet hat, hat der VöV seine Erwartungen an die Politik der Zukunft, d.h. an die künftige Regulation formuliert. Die Kernfrage ist folgende: Gute Branchenzusammenarbeit oder freier Wettbewerb? Es ist nicht beides gleichzeitig möglich. Der VöV ist überzeugt, dass für die Schweiz eine gute Branchenzusammenarbeit wichtiger ist als möglichst freier Wettbewerb. Ich komme noch darauf zurück.

Man muss im Leben ab und zu Konzessionen machen und zu Konzessionen bereit sein. Aber bei den öV-Konzessionen gilt es heute (bitter-)ernst, vorab im Bereich des Fernverkehrs. Konzessionen haben oder nicht haben – das ist die Frage. SBB und BLS buhlen – oder buhlten – um diese Fernverkehrskonzessionen. Es geht und ging um fundamentale, betriebswirtschaftlich gegenläufige Interessen. Alles dreht sich heute um die Frage nach dem „richtigen“ Wettbewerb bzw. um eine „richtige“ Aufteilung der Linien. Im Bereich des Fernverkehrs ist die aktuelle Regelung im Personenbeförderungsgesetz lückenhaft. Die wohl wichtigste Frage ist und bleibt: Soll nur die SBB eine Fernverkehrskonzession erhalten? Im VöV sind wir uns einig, dass in der Schweiz – angesichts des Modells der kooperativen Zusammenarbeit zwischen den Transportunternehmen – ein Mehrbahnenmodell Sinn macht. Mit Genugtuung nehmen wir deshalb zur Kenntnis, dass sich vor kurzem die SBB und die BLS gefunden haben und einen Betriebsvertrag zur Zusammenarbeit im Fernverkehr unterzeichnet haben. Danach wird die SBB die integrale Fernverkehrskonzession behalten, gleichzeitig aber der BLS einzelne Linien im eigenwirtschaftlichen Betrieb abtreten. Die ganze Branche freut sich, dass das eingetroffen ist, was zu erwarten war und auch sinnvoll ist: eine einvernehmliche Lösung im Sinne einer guten Kooperation.

Ob nur unter einer einzigen schweizerischen Fernverkehrskonzession kooperiert wird oder ob es mehrere Fernverkehrskonzessionen gibt, ist in einem kooperativen Mehrbahnenmodell fast nebensächlich. Generell birgt das kooperative öV-Modell mit dem Konstrukt des „Wettbewerbs der Ideen“ unter Transportunternehmen, die nicht im harten Ausschreibungswettbewerb stehen, grosse Vorteile. Dank des in der Schweiz eher „zahmen“ Wettbewerbsregimes in der öV-Branche sind die Transportunternehmen i.d.R. zur Kooperation und Zusammenarbeit bereit. Dies führt zu einem in sich vernetzten System. Ich erinnere da an die in der Schweiz – im Vergleich zum Ausland – sehr gut funktionierenden Anschlüsse – auch unter verschiedenen Transportunternehmen.

Jedenfalls erwartet der VöV in diesem Zusammenhang, dass der Gesetzgeber im Hinblick auf die künftige Vergabe von Fernverkehrskonzessionen die Eckwerte klar festlegt. Um künftig Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden, darf es keinen auslegungsbedürftigen Interpretationsspielraum mehr geben. Der VöV fordert Rahmenbedingungen, die sich an fairen Spielregeln orientieren. Dies gilt im Übrigen auch für die Fernbusverbindungen. Der VöV bekämpft Fernbusse nicht, verlangt aber Fairness sowie gleich lange Spiesse. Insbesondere lehnen wir Rosinenpickerei ab. Sonst fällt das öV-System Schweiz auseinander.

Ein zweiter wichtiger Punkt, auf den wir im Positionspapier eingehen, ist der ganze Regionale Personenverkehr. Hier läuft ja zurzeit eine entsprechende Gesetzesrevision. Im Rahmen der RPV-Reform setzen wir uns dafür ein, dass die Bestimmungen zur Gewinnverwendung etwas gelockert werden. Die öV-Unternehmen benötigen angesichts des dynamischen Wandels der Mobilität auch in den abgeltungsberechtigten Bereichen einen unternehmerischen und finanziellen Handlungsspielraum für Innovationen und neue Technologien. Es braucht also die Möglichkeit, Gewinne machen zu dürfen. Nur so lassen sich unternehmerische Risiken abdecken und Innovationen finanzieren. Der Forschungs- und Entwicklungsfonds, den wir als Verband zur Finanzierung branchenbezogener Innovationen geschaffen haben, stellt eine wichtige, aber in Anbetracht der Summe lediglich kleine flankierende Massnahme dar.

Der öV befindet sich nicht in einer theoretischen Luftblase. Wir müssen stets die konkreten Interessen unserer Kundinnen und Kunden und die Anliegen der Politik reflektieren. Letztendlich müssen öV-Lösungen für die ganze Schweiz stimmig sein. Im Vordergrund darf nicht einfach die «Marktabschöpfung» stehen, sondern das «Gesamtwohl» der Schweiz.

Norbert Schmassmann, 5. September 2019