17. 09. 2018

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17. 09. 2018

Knackpunkt Finanzierung bei öV-Ergänzungsangeboten

Das Schweizer öV-System gilt weltweit als vorbildlich. Fast jeder Winkel des Landes ist erschlossen. Doch Wandernde und BesucherInnen von entlegenen Ausflugszielen merken schnell, dass auch dieses vermeintlich perfekte System Lücken hat. Die fehlende Erschliessung der «letzten Meile» ist zudem ein Grund, wieso der Freizeitverkehr im Schweizer Berggebiet vornehmlich mit Privatfahrzeugen erfolgt. Alternativen haben es wegen den bestehenden gesetzlichen Grundlagen schwer.

Es gibt sie, die Alternativen und Lückenschliesser des Schweizer öV. Verbreitet sind etwa Wanderbus-Angebote von bedeutenden touristischen Destinationen oder Ortsbusse, welche AusflüglerInnen bis in die hintersten Winkel einer Berggemeinde bringen. Auch der 2011 gegründete Verein Bus alpin erschliesst mit seinen Busangeboten in mittlerweile 16 Bergregionen die «letzte Meile».

Mangelhafte Gesetzgebung

Diesen bestehenden öV-Ergänzungsangeboten ist eines gemeinsam: Sie sind finanziert durch Gemeinden, Tourismusverbände und Sponsoren. Im Gegensatz zu den Angeboten im regionalen Personenverkehr (RPV) profitieren Ortsbusse und touristische Angebote nicht von Abgeltungen des Bundes und in den meisten Fällen auch nicht der Kantone. Und dies auch dann nicht, wenn die entsprechenden Ausflugsziele für den Tourismus von besonderer Bedeutung sind. Ausschlaggebend für eine öffentliche Finanzierung sind die Kriterien des RPV – im Besonderen die Erschliessungsfunktion eines Ortes entscheidet darüber, ob öffentliche Abgeltungen bei der Finanzierung eines Angebotes eingeplant werden können. Orte mit weniger als 100 ganzjährigen EinwohnerInnen gehen in der Regel leer aus. Die Folge: massiver Druck durch den Privatverkehr in den schönsten Landschaften unseres Landes, überfüllte Parkplätze, wildes Parkieren abseits der signalisierten Parkfelder sowie Lärm- und Luftbelastungen, welche diesen – häufig schützenswerten – Landschaften nicht zuträglich sind. In Anbetracht dieser gravierenden Folgen stellt sich die Frage, ob die bestehende Gesetzgebung in der Finanzierung von Verkehrsangeboten noch zeitgemäss ist und die gewünschten Wirkungen erzielt.

Herkulesaufgaben für Bus alpin

Welchen Kraftakt das Stemmen eines ÖV-Ergänzungsangebotes bedeutet, zeigt etwa die Bus alpin-Region Bergün-Albulapass. Die Kosten für den Betrieb der beiden saisonalen Sommer-Linien von Bergün nach Tuors Chants im Val Tuors und von La Punt im Engadin über den Albulapass nach Bergün betragen jährlich ohne externe Marketingkosten CHF 55‘000.- In diesem Betrag sind die nicht-monetären Kosten der beteiligten Partner Bergün Filisur Tourismus, La Punt Ferien und Parc Ela noch nicht einmal mitgerechnet. Die Billeteinnahmen auf beiden Linien zusammen betragen CHF 26‘000.-. Jährlich muss also ein Betrag von CHF 29‘000.- durch Träger und Sponsoren übernommen werden. Die nachfolgende Abbildung zeigt die Aufteilung der Kosten.

Kanton7'000Bergün Filisur Tourismus und La Punt Ferien7'500Gemeinden Bergün und La Punt5'000Parc Ela und Kleinsponsoren 4'000Defizit5'500 Tabelle 1: Kostenverteilschlüssel in der alpin-Region Bergün-Albulapass

Dank dem Beitrag des Kantons Graubünden kann das Defizit etwas reduziert werden. Das übrig bleibende Defizit teilen sich Bergün Filisur Tourismus, La Punt Ferien, Parc Ela und der Betreiber der Linie, Edelweiss Reisen, zu gleichen Teilen.

Der Bus alpin unterwegs im Albulapass-Gebiet

Bild: zvgEin Kraftakt, wie sich alle Beteiligten einig sind, auch wenn er sich lohnt und pro Saison rund 2‘500 Fahrgäste transportiert werden können. Diese Fahrgäste reisen nicht mit dem Privatfahrzeug zu ihren Ausflugszielen und sie geben Geld aus in der Region. Ein Nutzen lässt sich nachweisen.
Ohne Hilfe des Kantons wird es noch schwieriger
In einigen Kantonen gibt es keine gesetzliche Grundlage, welche eine Mitfinanzierung von touristischen Busangeboten ermöglicht, so auch im Kanton Bern. Das Bus alpin-Angebot im Naturpark Gantrisch zeigt, dass dies die regionalen Ressourcen stark und andauernd strapaziert - trotz aller positiven Effekte, welche die involvierten Partner nicht missen möchten. Im Winter gibt es im Naturpark Gantrisch den «Schneebus», welcher von Schwarzenburg aus – mit S-Bahn-Anschluss - die Skilifte im Selital sowie das Langlaufzentrum Gantrisch erschliesst. Im Sommer ist der «Natur- und Sportbus» unterwegs. Er führt Gäste an den Wochenenden von Schwarzenburg bis nach Gurnigel, Gantrischhütte, respektive Stierenhütte und stellt dort die Verbindung mit der PostAuto-Linie sicher. Damit ist das hintere Gantrischgebiet während des ganzen Tages mit einem Zweistundentakt erschlossen. Die jährlichen Kosten des Winter- und Sommerangebotes betragen CHF 58‘000.-. Nach Abzug der Billeteinnahmen von CHF 14‘000.- und der Lokalsponsoren von CHF 5‘000.- bleiben nicht gedeckte Kosten von CHF 39‘000.-. Die Gemeinden und die Region konnten diesen finanziellen Verlust tragen. Längerfristig müssen aber die Kosten weiter gesenkt oder gar das Angebot reduziert werden. Das jährliche Defizit ist schlicht zu gross. Mit viel Herzblut und grossen – teils auch finanziellem – Engagement sorgen die regionalen Partner für dieses attraktive Angebot.

Der «Schneebus» - im Auftrag gefahren von PostAuto bei der Ski- und Langlaufstation Schwarzenbühl
Bild: zvg

Umso ärgerlicher, dass einige KundInnen nicht begreifen, wieso sie für das „normale“ PostAuto-Angebot nicht bezahlen müssen (GA, Tarifverbund-Abos), für den Bus alpin allerdings schon.
Gesucht: Lösung für den touristichen öV
Nicht nur die beiden oben geschilderten Beispiele sind infolge schwieriger Finanzierung latent gefährdet. Es gibt im Schweizer Berggebiet Dutzende beliebte Angebote, mit Hunderttausenden Fahrgästen jährlich. Sie hangen an einem seidenen Faden. Das Postulat 18.3043 von Nationalrat Thomas Egger verlangt deshalb zu Recht eine Neudefinition des abgeltungsberechtigten Personenverkehrs und verdient die volle Unterstützung aller politischen Akteure, damit auch die «letzte Meile» im öffentlichen Verkehr endlich erschlossen wird. Es darf nicht mehr länger von einzelnen engagierten Personen und Institutionen abhängen, ob eine touristisch geprägte Landschaft neben dem Privatfahrzeug auch mit dem öV erreichbar ist – zum Nutzen der Umwelt und der lokalen Wirtschaft. Eine Auswertung der Bus alpin-Betriebe im Jahr 2016 hat nämlich gezeigt, dass mit den Busangeboten in den damals 13 Regionen mit Bus alpin-Angeboten eine lokale Wertschöpfung von hochgerechnet 1-2 Mio Franken erzielt werden können - und dies dank den UmsteigerInnen vom Privatfahrzeug auf den Bus ohne negative Konsequenzen für die Umwelt. Bus alpin-KundInnen sind sehr umweltbewusst. Über 70 Prozent reisen mit dem öffentlichen Verkehr an. Damit neben diesen öV-Fans weitere Teile der Gesellschaft ihr Privatfahrzeug zu Hause lassen, braucht es nun eine Offensive im touristischen öV. Denn trotz allem Engagement in den Regionen, weisen die vorhandenen Ergänzungsangebote häufig kaum mehr als vier, fünf Kurspaare pro Tag auf oder die Busse verkehren nur an Wochenenden und auf Rufbusbasis. Mit einem Betrag von 15 Millionen Franken beispielsweise liesse sich der touristische öV auf einen Schlag massiv verbessern – mit spürbaren Effekten. Wenn man bedenkt, wie viel das gesamte öV-System Schweiz kostet, sollte dies für ein so reiches Land verkraftbar sein. Schade, dass wir bis jetzt die Chancen des nachhaltigen Tourismus nicht besser nutzen!
Samuel Bernhard ist Geschäftsleiter des Vereins Bus alpin. Dieser setzt sich für die öV-Erschliessung touristischer Ausflugsziele im Schweizer Berggebiet ein.
Nähere Informationen, Ausflugsideen und alle Fahrpläne unter: www.busalpin.ch
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