09. 10. 2025

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09. 10. 2025

Kommentar: Öffentlicher Verkehr – das Schweizer Versprechen, das wir nicht verspielen dürfen

Täglich bringen unsere öV-Unternehmen Millionen von Menschen zur Arbeit, in die Ausbildung oder in die Freizeit. Und dies zuverlässig, platzsparend und weitgehend emissionsfrei. Zuletzt verzeichneten viele Transportunternehmen Passagierrekorde und zunehmende öV-Anteile. Doch während Züge und Busse mehr Fahrgäste denn je befördern, dominieren in Bern Sparprogramme und Finanzlücken. Die Politik muss handeln: der Regionale Personenverkehr muss jetzt gestärkt und die Alimentierung des Bahninfrastrukturfonds langfristig gesichert werden. Damit können das Wachstum gestemmt und steigende Unterhaltskosten sowie eine gezielte Weiterentwicklung des öV garantiert werden.

Der öV ist kein Subventionsloch, sondern eine Versicherungspolice für die Lebensqualität der Schweiz. © LITRA

Der öV ist Lebensader. Ob in der Surselva, im Limmattal oder am Genfersee: Das dichte Netz aus Bahn, Tram, Bus, Schiff und Seilbahn hält unser Land zusammen. Es sichert Zugang zu Arbeit, Bildung, Einkauf oder Kultur, bindet Tourismusregionen an die Städte an und entlastet die Strasseninfrastruktur.

Unser öV ist ein Standortvorteil, den es so in keinem anderen europäischen Land gibt. Jeder Franken, der in dieses System fliesst, schützt zudem Boden und Luft und generiert einen volkswirtschaftlichen Nutzen.

Aktuell treffen zwei Wellen auf den öV: Finanzdruck aus der Politik und Mehrkosten vom System. Der Bund will im Entlastungspaket 27 Hunderte Millionen aus den Verkehrsfonds streichen, während Unterhalt und Ausbau teurer werden. Und er will beim Regionalen Personenverkehr sparen, was das öV- Angebot sowie dessen Umstellung auf alternative Antriebe unmittelbar beeinträchtigt.

Ohne ausreichende öV-Finanzierung stehen wir vor einer Abwärtsspirale: weniger Angebote und fehlende Kapazitäten senken die Attraktivität des öV und schaden der Schweiz. Wird das öV-Angebot ausgedünnt, verlieren wir mehr als Anschlussminuten. Der regionale Zusammenhalt leidet, weil Randgebiete ohne verlässlichen Taktfahrplan Arbeitskräfte weniger gut halten können und die Erreichbarkeit für Tourismus und Freizeit leidet.

Städte kämpfen vermehrt mit Stau, wenn Pendler auf das Auto ausweichen. Kurz: Sparen am öV bedeutet versteckte Einbussen für die Schweiz.

Eine wachsende Schweiz und Sparen beim öV passen nicht zusammen. Benötigt werden Planungssicherheit und kein kurzfristiges Flickwerk mit Kürzungen. Das befristete Mehrwertsteuer- Promille im Bahninfrastrukturfonds läuft 2030 ab. Ohne dessen Verlängerung fehlen jährlich 300 Millionen Franken. Zudem besteht bei der Rückzahlung der FinöV-Schulden ein erheblicher Spielraum.

Es sind politische Entscheide nötig, damit sowohl der Unterhalt der Verkehrsinfrastrukturen langfristig gesichert wie auch ein kunden- und angebotsorientierter Ausbau möglich bleiben. Dabei sind jene Ausbauprojekte zu priorisieren, bei denen der Nutzen am grössten ist.

Ebenfalls könnten Tram- und Metroprojekte Ballungsräume rasch und günstiger entlasten als S-Bahn-Tiefbauten. Ein höherer Bundesanteil bei Tramlösungen würde Kapazitäten schaffen, ohne die Kantone zu überfordern.

Der öV ist kein Subventionsloch, sondern eine Versicherungspolice für die Lebensqualität der Schweiz. Er garantiert Mobilität unabhängig von Alter, Einkommen oder Postleitzahl. Er ist Standortfaktor, Klimaschutzinstrument und soziale Infrastruktur in einem. Wer diese Funktionen monetär bewerten würde, käme rasch zum Schluss: Nicht der öV ist zu teuer - sein Ausfall wäre es.

Finanzfragen sind wichtig, Effizienzsteigerungen zwingend und die Modernisierung der Netze unabdingbar, aber sie dürfen die Grundsatzfrage nicht verdecken: Welches Mobilitäts-Versprechen geben wir der nächsten Generation? Wenn wir unseren Kindern eine Schweiz überlassen wollen, die lebenswert, vernetzt und wirtschaftlich stark bleibt, dürfen wir den öV jetzt nicht im Stich lassen.

Politik und Bevölkerung stehen vor einer Wahl: Kurzfristige Budget-Kosmetik - oder Zukunftsinvestitionen in den öV, die sich vielfach auszahlen. Die Schweiz hat sich 2014 mit FABI klar zum öV bekannt. Sie sollte den Mut finden, dieses Versprechen zu erneuern.

Gastkommentar der LITRA, erschienen in der NZZ vom 8. Oktober 2025.