11. 12. 2025

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11. 12. 2025

Die österreichische NEAT nimmt Gestalt an

Im Südosten Österreichs geht am 14. Dezember eine Bahnverbindung in Betrieb, die in vielem an die Neue Alpentransversale (NEAT) in der Schweiz erinnert: Die Koralmbahn mit dem 33 km langen Koralmtunnel verbindet die südlichen Bundesländer Kärnten und Steiermark. Die Strecke ist das Kernstück einer künftigen Flachbahn von Wien nach Italien.

Die Jauntalbrücke in Kärnten ist eines der spektakulärsten Bauwerke der Koralmbahn. © ÖBB

Von Benedikt Vogel, freischaffender Autor

2007 nahm die Schweiz den Lötschberg-Basistunnel in Betrieb, 2016 den Gotthard-Basistunnel, und 2020 wurde mit der Eröffnung des Ceneri-Basistunnels die Flachbahn durch die Alpen vollendet. Auch Österreich arbeitet auf zwei schnelle Bahnverbindungen durch die Alpen hin: Der 55 km lange Brenner-Basistunnel von Innsbruck ins italienische Franzensfeste ist im Bau und soll voraussichtlich 2032 eröffnet werden. Der Hauptabschnitt einer zweiten Verbindung steht unmittelbar vor der Inbetriebnahme: Ab dem 14. Dezember verkehrt die Koralmbahn zwischen Graz und Klagenfurt. Sie verbindet die Landeshauptstädte der südlich der Alpen gelegenen Bundesländer Steiermark und Kärnten. Die Koralmbahn ist das Herzstück der "neuen Südstrecke", die von Wien nach Villach an der österreichischen Grenze zu Slowenien und Italien führt. Mit dem Semmering-Basistunnel, der im Jahr 2030 in Betrieb gehen soll, ist sie Teil einer künftigen Flachbahn durch die Alpen von Wien nach Triest/Italien.

Herzstück der Koralmbahn ist der 33 km lange Koralmtunnel, der die Koralpe durchquert, ein Gebirge im Grenzgebiet zwischen Kärnten und Steiermark. Die 130 Kilometer lange Strecke von Graz nach Klagenfurt wird in 41 Minuten zurückgelegt. In der Gegenrichtung dauert die Fahrt 42 Minuten. Die kleine Differenz bei der Fahrzeit ergibt sich aus dem Umstand, dass der Fahrplan auf Nah- und Güterverkehrszüge Rücksicht nehmen muss, die auf derselben Bahntrasse verkehren. Von der schnellen Bahnverbindung profitiert auch der überregionale Verkehr. Die Reise von Wien nach Triest dauert neu 6 Stunden 38 Minuten, 2 Stunden und 40 Minuten weniger als bisher.

Die Koralmbahn verkehrt zwischen Klagenfurt nach Graz, ungefähr auf halber Strecke liegt der 33 Kilometer lange Koralmtunnel. Die Koralmbahn ist Teil der "neuen Südstrecke" der ÖBB, die von Wien über Graz und Klagenfurt nach Italien führt. © ÖBB

Schneller und häufiger unterwegs

Die Koralmbahn ist ein Grossprojekt. Die Trasse wurde auf der gesamten Strecke neu gebaut. Hinzu kommen der zweiröhrige Koralmtunnel und elf weitere Tunnel mit insgesamt 50 km Länge. Das Projekt mit Baukosten von 5,9 Mrd. EUR umfasst 23 neue oder modernisierte Bahnhöfe und über 100 Brücken und Unterführungen. Die Bahnreisenden profitieren nicht nur von verkürzten Reisezeiten, sondern auch von häufigeren Verbindungen. Pro Fahrtrichtung verkehren täglich neun schnelle RJX (41/42 Minuten Fahrzeit) und 20 RJ bzw. ICE (54/55 Minuten Fahrzeit). Die Zahl der Züge zwischen Wien und Klagenfurt wird mehr als verdoppelt. Diese Verbindung wird mit der Koralmbahn 45 Minuten schneller. Wird in fünf Jahren der Semmering-Basistunnel auf dem Streckenabschnitt zwischen Wien und Graz eröffnet, wird der Zeitgewinn auf 100 Minuten ansteigen.

Graz und Klagenfurt sind heute zwar schon mit einer Bahnstrecke verbunden. Der Umweg ist aber so gross, dass die ÖBB für den Personenverkehr bisher Busse einsetzen, die über die Autobahn fahren. Der 'ÖBB Intercitybus' verkehrt bisher achtmal täglich, die Fahrt dauert fast drei Stunden. "Wir gehen davon aus, dass das Fahrgastpotenzial mit der neuen Bahnstrecke um ein Vielfaches höher ist als bisher", sagt ÖBB-Sprecherin Rosanna Zernatto-Peschel. Zahlen zu den erwarteten Bahnpassagieren veröffentlichen die ÖBB nicht. Klar ist, dass die Bahn zwischen den Landeshauptstädten Klagenfurt und Graz jetzt mit Abstand das schnellste Verkehrsmittel ist. Wie stark die Bahnstrecke die Menschen, die in ländlichen Gebieten wohnen und noch stark aufs Auto setzen, von der Strasse auf die Schiene bringt, bleibt abzuwarten.

Die Koralmbahn verkehrt zwischen Klagenfurt nach Graz, ungefähr auf halber Strecke liegt der 33 Kilometer lange Koralmtunnel. Die Koralmbahn ist Teil der "neuen Südstrecke" der ÖBB, die von Wien über Graz und Klagenfurt nach Italien führt. © ÖBB

Mehr Kapazität für Gütertransporte

Von der neuen Koralmbahn profitiert neben dem Personen- auch der Güterverkehr, der die neue Strecke schon seit November 2025 nutzt. Bislang verkehrten die Güterzüge zwischen Klagenfurt und Graz über den sogenannten Neumarkter Sattel, Knittelfeld und Bruck an der Mur. Diese Strecke verläuft ein Stück nördlich der Neubaustrecke, ist deutlich länger und weist ein grösseres Gefälle auf. Künftig stehen beide Strecken und damit vier Schienenwege zur Verfügung, die Transportkapazität wächst um rund 30 Prozent.

"Dank der neuen Koralmbahn können wir unseren Kunden verkürzte Transportzeiten und mehr Kapazität für klimafreundliche Logistik anbieten", sagt Clemens Först, CEO der ÖBB Rail Cargo Group. Erwartet wird, dass vor allem der Einzelwagenverkehr, bei dem Wagen mit Gütern verschiedener Kunden gebündelt werden, von der neuen Verbindung profitieren wird. Weil die neue Strecke eine geringere Steigung aufweist – 10 statt 16 Promille –, können pro Zug zusätzlich 250 bis 280 t Güter transportiert werden. Konkrete Zielvorgaben oder Erwartungen für die Verlagerung des Strassengüterverkehrs auf die Schiene hat die ÖBB Rail Cargo Group bislang nicht veröffentlicht.

Der Koralmtunnel umfasst zwei richtungsgetrennte Röhren. © OEBB/EVmedia

ETCS Level 2 im Einsatz

Koralmbahn und Koralmtunnel sind mit dem Zugbeeinflussungssystem ETCS (European Train Control System) Level 2 ausgerüstet. Diese moderne Zugsicherungstechnik, die auch in den NEAT-Bahntunnel durch Gotthard und Lötschberg verbaut ist, ermöglicht den Verzicht auf Signalanlagen entlang der Gleise und dichtere Zugfolgen. Zusätzlich sorgen beim Koralmtunnel spezielle Prüfeinrichtungen – sogenannte Zuglaufcheckpoints – vor Einfahrt in den Tunnel dafür, dass alle Züge auf technische Defekte wie zum Beispiel überhitzte Bremsen überprüft werden.

Der Koralmtunnel verfügt in der Tunnelmitte über eine 1000 m lange Nothaltestelle. Alle 500 Meter sind die beiden Tunnelröhren durch Querschläge miteinander verbunden. Löschwasserleitungen, Notrufsäulen, Branddetektoren und ein eigener Rettungszug sind weitere Vorkehrungen, um grösstmögliche Sicherheit zu gewährleisten.

Der Koralmtunnel – hier während der Bauzeit – ist in der Mitte mit einer rund 1000 Meter langen Nothaltestelle ausgerüstet. © ÖBB/Franz Georg Pikl

Flachbahn durch die Alpen

Nach 40 Jahren Planung und 27-jähriger Bauzeit ist die Eröffnung der Koralmbahn ein Meilenstein für den österreichischen Bahnverkehr und darüber hinaus. Nach der Inbetriebnahme des Semmering-Basistunnels wird die Steigung der Bahnstrecke von Wien bis zur österreichisch-slowenischen Grenze südlich von Villach (Kärnten) bei maximal 10 Promille liegen, was einer Flachbahn entspricht.

Die ÖBB spricht im Zusammenhang mit der Koralmbahn von einem "Jahrhundertprojekt". Gross waren denn auch die Anstrengungen, um das Bauprojekt, das Landfläche in nicht unbeträchtlichem Ausmass vereinnahmt hat, ökologisch verträglich zu gestalten. Es handelt sich bei der Koralmbahn um das grösste Projekt in Österreich, das je nach dem Umwelt-Verträglichkeits-Verfahren genehmigt wurde. Um einen Ausgleich für die Eingriffe in die Natur zu schaffen, wurden in der Steiermark und in Kärnten streckenweise Flüsse umgelegt und ökologische Ausgleichsflächen geschaffen.